Am Samstag waren wir bei einer Freundin und ihrem Mann zum Grillen eingeladen.
Eigentlich war der Abend ganz okay bis ich dann gegen halb 12 langsam aufbrechen wollte. Ich sagte, dass ich sonst Angst hätte unterwegs müde zu werden (ich war an diesem Abend die Fahrerin, habe häufiger mal Müdigkeitsprobleme beim Autofahren und wir hatten eine Fahrt von etwa 30 Minuten vor uns).
Der Mann meiner Freundin verstand dennoch nicht so ganz wieso wir schon fahren wollten. Meine Freundin erklärte ihm dies dann prompt mit den Worten:
„Lass sie, die hat schon mal einen platt gefahren“!
Treffer versenkt.
Ich war so perplex und sagte nur zu ihr, dass das gerade daneben gewesen sei (was noch völlig untertrieben war). Schlagartig war die Stimmung gekippt. Ich hätte am liebsten losgeheult. Mein Herr Klarherz hatte ihren Spruch gar nicht so richtig mitbekommen, er hatte nur gemerkt, dass irgendwas gerade passiert sein muss und legte seinen Arm um mich um mich an sich zu drücken. Ich sagte, dass wir dann jetzt fahren würden. Sie entschuldigte sich noch schnell, aber in einem Ton, der durchklingen ließ, dass sie nicht ganz verstand wo jetzt genau das Problem lag. Sie fand es anscheinend witzig.
Was sie so witzig fand, ist einer meiner wundesten Punkte. Die Zeit damals war alles andere als einfach für mich und dieser eine Satz hat das alles plötzlich wieder aufgewühlt.
Im Sommer 2013 hatte ich einen Autounfall. Es war mein 2. Urlaubstag und ich hatte mein damaliges Auto gerade neu und fuhr in meiner Heimatstadt auf einer gut ausgebauten Hauptstraße. Viele rasen dort, aber ich war schon immer eine eher vorsichtige Autofahrerin und mit neuem Auto erst recht.
So fuhr ich dort mit ca. 35km/h statt erlaubten 50 km/h. Plötzlich schoss ein Radfahrer aus einer Seitenstraße, die von der Vorfahrtstraße, auf der ich mich befand, erst spät einzusehen war. Reflexartig ging ich natürlich schlagartig in die Eisen und legte eine Vollbremsung hin. Es gab einen lauten Knall und dieses Bild von dem aufprallenden Radfahrer auf meiner Frontscheibe, die sich prompt in ein Mosaik verwandelte, werde ich wohl nie wieder vergessen.
Was dann folgte, erlebte ich nur noch wie in Trance. Ich stieg aus und sah Blut. Viel Blut. Der Radfahrer lag auf dem Boden. Ein Mann eilte zu mir, sagte mir er habe gerade den Krankenwagen gerufen. Er kümmerte sich anschließend nur um mich, setzte mich auf den Bordstein, gab mir etwas zu trinken. Ich glaube ich habe gar nichts gesagt, ich erinnere mich zumindest nicht an mich, sondern nur an den Radfahrer und das Blut neben ihm.
Irgendwann saß ich im Krankenwagen. Ich hörte nicht mehr auf zu weinen. Meine Mutter war inzwischen auch da. Ob ich sie gerufen habe oder jemand anderes kann ich nicht mehr sagen. Inzwischen hatte man auch einen Seelsorger gerufen. Auch die Polizei versuchte mich zu trösten und sagte die ganze Zeit, dass ich wohl nichts hätte machen können. Ich fragte mich die ganze Zeit nur wie alt der Radfahrer wohl gewesen sein mag. Es war alles so wahnsinnig schnell gegangen, aber weil der Radfahrer so angerast kam, ging ich von einem jungen Menschen aus, was das Drama nicht leichter zu ertragen machte.
Am nächsten Tag wollte ich mich unbedingt nach dem Zustand des Radfahrers erkundigen. Von der Polizei bekam ich die Telefonnummer der Frau des Radfahrers, der wohl 73 war. Zitternd wählte ich die Telefonnummer. Ich sprach mit einer sehr netten Dame. Sie hatte so großes Mitleid mit mir und machte mir nicht einen Vorwurf. Sie sagte immer wieder nur wie leid es ihr täte, dass ich als so junge Fahranfängerin so etwas erleben musste. Ihrem Mann würde es den Umständen entsprechend gut gehen, er läge allerdings noch auf der Intensivstation.
In den nächsten Tagen rief ich in regelmäßigen Abständen bei der Frau an, um mich nach dem Gesundheitszustand ihres Mannes zu erkundigen. Es ging ihm immer besser.
Etwa 1 Woche später fuhr ich dann mit meiner Mutter für ein paar Tage nach Bayern zu einem Teil unserer Familie. Meine Mutter war der Meinung, dass mir dieser Abstand ganz gut tun würde. Innerhalb dieses „Urlaubs“ fuhr ich dann auch einen Tag nach München zu meiner Cousine. Von hier aus rief ich nochmal bei der Frau des Radfahrers an. Dieses Telefonat änderte alles. Sie teilte mir mit, dass ihr Mann es leider nicht geschafft habe. Ich bin in Tränen ausgebrochen und war für meine Cousine nicht mehr zu beruhigen. Sie rief meine Mutter an, die mich abholte.
Und wie ging es damals weiter?
Ich wollte nie wieder Auto fahren. Meine Mutter zwang mich. Unter Tränen fuhr ich die ersten Meter. Mittlerweile fahre ich auch ohne Tränen. Am Unfallort fahre ich nicht mehr vorbei, ich suche mir Alternativrouten, auch wenn sie einen Umweg bedeuten. Mittlerweile zucke ich auch nicht mehr zusammen, wenn ich Sirenen höre. In der ersten Zeit war das nämlich ein ganz großes Thema. Sobald ich Sirenen hörte, ging ich schlagartig vom Gas und war wie versteinert.
Ich habe eine Traumatherapie gemacht. Ob sie etwas gebracht hat oder die Zeit es war, die die Wunden ein wenig geheilt hat, kann ich nicht sagen. Fakt ist aber, dass es mir mittlerweile schon deutlich besser geht was das Thema angeht. In der ersten Zeit war ich nämlich auch wieder voll in die Essstörung zurück geschlittert, was ich mittlerweile wieder einigermaßen im Griff habe.
Und dennoch, der Spruch am Samstag Abend hat mich wieder ganz schön getroffen und einiges hoch geholt…